Erlebnisblog zum Weitwanderweg Via Glaralpina
Der Startschuss ist gefallen, Lukas Leuzinger bestreitet die besondere Herausforderung: Die Begehung des Weitwanderweges Via Glaralpina! Auf total 230 Kilometern und 18'500 Höhenmetern umwandert er das Glarnerland – und uns nimmt er dabei mit!
Lukas Leuzinger ist Journalist, stellvertretender Chefredaktor des Debattenmagazins Schweizer Monat und Chefredaktor des Politik-Blogs Napoleon’s Nightmare. Er ist begeisterter Berggänger und Velofahrer. 2018 veröffentlichte er das Buch «Ds Wort isch frii» über die Glarner Landsgemeinde.
Nicht nur die Vorfreude von Lukas, auch der Respekt ist gross. Noch nie hat er eine Wanderung dieser Länge gemacht. Ist er fit genug? Wird das Wetter mitspielen? Wird er die richtigen Wege finden und sich nicht verirren? Solche Fragen gehen Lukas durch den Kopf, wenn er an die bevorstehende Reise denkt.
Lukas freut sich auf eindrückliche Landschaften, majestätische Gipfel, Bekanntschaften mit menschlichen und tierischen Berggängern. Und natürlich auf das währschafte Essen und das bequeme Bett, das ihn nach den schweisstreibenden Etappen in den Berghütten erwartet.
Texte & Bilder: Lukas Leuzinger
Hier geht's mit einem Klick zur gewünschten Etappe mit dem entsprechenden Blogpost:
- Etappe 01 Via Glaralpina - Gipfelschnuppern hoch über der Linthebene
- Etappe 02 Via Glaralpina – Brüggler – kurz und luftig
- Etappe 03 Via Glaralpina - Auf und Ab, bewacht vom "Vreneli"
- Etappe 04 Via Glaralpina - Klöntal - Kraft und Magie
- Etappe 05 Via Glaralpina - Zeinenfurgglen - Riesenschnecke in alpinem Ambiente
- Etappe 06 Via Glaralpina - Gipfelziel Ortstock, das Braunwalder Matterhorn
- Etappe 07 Via Glaralpina - Teuflisches Schrattenlabyrinth
- Etappe 08 Via Glaralpina - Gämsfairen - von der Wanderratte zum Gletscherfloh
- Etappe 09 Via Glaralpina - Audienz beim höchsten Glarner
- Etappe 10 Via Glaralpina - Wo einst Kurgäste weilten
- Etappe 11 Via Glaralpina - Steinbocksafari in Blumenvielfalt
- Etappe 12 Via Glaralpina - Muttenberge - Schiefermikado für Grenzgänger und Weitsichtler
- Etappe 13 Via Glaralpina - General Suworow, auch ein Weitwanderer
- Etappe 14 Via Glaralpina - Vorab - für Grenzgänger und Gratschlängler
- Etappe 15 Via Glaralpina - Munter rauf und runter - nur umgekehrt und bunter
- Etappe 16 Via Glaralpina - UNESCO Weltnaturerbe - aussergewöhnlich nah
- Etappe 17 Via Glaralpina - Chüebüch und Schoggigrat - süsse Versuchung für Bergwanderer
- Etappe 18 Via Glaralpina - Botanische Voralpen-Wander-Grattour
- Etappe 19 Via Glaralpina - Finisherschwumm im Walensee
Etappe 01 Via Glaralpina - Gipfelschnuppern hoch über der Linthebene
16.07.2022 - Der grosse Tag ist da. Nach langer Zeit der Planung, Vorbereitung und Vorfreude starte ich heute zur Via Glaralpina. Als ich am Bahnhof Ziegelbrücke stehe und die grosse Karte sehe, auf der alle Etappen eingezeichnet sind, werde ich schon etwas ehrfürchtig. Doch die Wanderlust überwiegt, und so mache ich mich auf den Weg.
Auf der ersten Etappe begleitet mich meine Mutter. Der Weg führt uns von Niederurnen durch einen lieblichen Eichenwald Richtung Hirzli, den ersten Höhepunkt der Etappe. Den Wegrand säumen holzgeschnitzte Figuren von Tieren, die daneben auf Tafeln beschrieben sind. Kurz nach dem Mittag erreichen wir das Hirzli, das eine grandiose Aussicht über Walensee und Churfirsten bis zum Zürichsee bietet.
Nach einem kurzen Abstieg geht es wieder nach oben auf den Planggenstock. Steil fällt das Gelände beim Aufstieg rechts ab. Nach dem zackigen Höhepunkt schlängelt sich der Weg wieder nach unten ins Niederurner Tal. Wir gönnen uns noch eine Erfrischung im Bergrestaurant Hirzli.
Dann führt der letzte Teil des Wegs zum Blockhaus Mettmen, wunderbar gelegen mit Blick auf den Brüggler, mein morgiges Ziel. Bei der Hütte treffe ich ein Paar, das ebenfalls die Via Glaralpina macht. Auch einige Bauern mit Kindern sind hier, die auf der Wiese vor der Hütte heuen und danach an der Feuerstelle grillieren. Ich geselle mich dazu. Wir sprechen über Bergtouren, technischen Fortschritt in der Berglandwirtschaft und die Vorzüge, in der Natur zu arbeiten. Ja, Bergbauern haben einen anstrengenden, aber auch schönen Beruf. Ich bin dankbar, wenigstens für kurze Zeit in dieser Umgebung zu Gast sein zu dürfen.
Etappe 02 Via Glaralpina – Brüggler – kurz und luftig
17.07.2022 - Die Morgensonne strahlt über das Niederurner Tal. Hoch oben thront der Brüggler. Ein steiler Aufstieg erwartet mich. Oben auf dem Grat schweift der Blick hinüber ins Schwändital. Der Weg auf dem Grat zum Brüggler ist anspruchsvoll, steil geht es auf der Seite nach unten. Doch wer konzentriert bleibt, wird belohnt mit einer sagenhaften Aussicht.
Vom Brüggler geht es hinunter ins Schwändital. Dieses Hochmoorgebiet ist ein echtes Kleinod. Hier treffe ich meinen Freund Philipp, der mich bis an den Obersee begleitet. Durch Wälder und Moore führt der Weg bei wunderbarer Aussicht ins nächste Tal. Beim Obersee wäre eigentlich das Etappenziel, doch mich erwartet noch ein letzter Aufstieg zu den Rautihütten, Philipp schlägt derweil den Weg ins Tal ein. Die Rautihütten sind der letzte Ort, wo noch Glarner Alpziger nach althergebrachter Art produziert wird. In der Alphütte nebenan wird gekäst. Nach dem schweisstreibenden Aufstieg erfrische ich mich als erstes am Brunnen, wie herrlich ist das! Danach entspanne ich mich bei einem Bier im Alpbeizli und beobachte die Kühe, die in den Stall zurückkehren. Den krönenden Abschluss des Tages bildet ein währschaftes Abendessen von unseren Gastgebern, den Älplern. Müde, aber glücklich verkrieche ich mich in meinen Schlafsack und schlafe, von Kuhglocken begleitet, friedlich ein.
Etappe 03 Via Glaralpina - Auf und Ab, bewacht vom "Vreneli"
18.07.2022 - Der Tag beginnt mit einem reichhaltigen Frühstück, Älplerin Ursi zaubert frischen Zopf, selbstgemachtes Joghurt und kuhwarme Milch auf den Tisch. Dermassen gestärkt geht es hinauf auf den Wiggis. Auf der Traverse vor dem Gipfel ist Schwindelfreiheit gefragt. Links geht's steil hinunter, weit unten sieht man das Glarner Haupttal. Hier besser nicht ausrutschen! Nach dieser Konzentrationsübung geniesse ich die Aussicht vom Gipfel.
Richtung Süden ist bereits der Klöntalersee zu sehen, mein heutiges Etappenziel. Zuvor muss ich aber noch einen zünftigen Abstieg bewältigen. Der Weg hinab zur Auerenalp ist landschaftlich reizvoll, aber aufgrund der vielen losen Steine eher mühsam. Weiter geht es via Dejenalp alsbald ins Klöntal. Gegen 17:30 Uhr treffe ich im Hotel Rhodannenberg ein. Das erfrischende Bad im See ist hochverdient! Die Nacht verbringe ich auf dem nahegelegenen Campingplatz Güntlenau. Meine Freunde Raphi und Stefan besuchen mich. Wir gehen grillieren, plaudern und bestaunen den Klöntalersee in der Abendsonne. Für uns steht fest: Hierher werden wir bald wiederkommen.
Etappe 04 Via Glaralpina - Klöntal - Kraft und Magie
19.07.2022 - Die vierte Etappe beginnt angenehm. Der Weg führt am See entlang durch schattenspendende Wälder. Ich geniesse noch einmal den Blick auf den Klöntalersee mit den mächtigen Bergen, die sich links und rechts auftürmen. Als "schönsten Fjord südlich von Norwegen" wird er auch bezeichnet - das passt.
Bald beginnt der Aufstieg zur Glärnischhütte SAC, die man nach Chäseren schon von weitem sieht. Sie liegt umgeben von den Gipfeln des Glärnischmassivs. Man unterschätzt das Glarnerland leicht. Das Haupttal mit den steilen Berghängen auf beiden Seiten wird gerne als "Schattenloch" bezeichnet. Doch in den Seitentälern tut sich eine ungeahnte Weite auf. Wobei – steil ist es auch hier, wie mir das letzte Stück des Weges zur Glärnischhütte bewusst macht. Hinzu kommt die brütende Hitze, die an den Kräften zehrt. Schweissüberströmt komme ich in der Hütte an. Ich lege mein Gepäck ab und nehme ein Bad im eiskalten Bergbach in der Nähe. Was für eine Erquickung! Danach geniesse ich die Aussicht auf die Berge im Abendlicht. Der Alltag wirkt hier oben unendlich weit weit weg.
Etappe 05 Via Glaralpina - Zeinenfurgglen - Riesenschnecke in alpinem Ambiente
20.07.2022 - Früh geht's los von der Glärnischhütte SAC. Heute steht eine lange Etappe auf dem Programm und für den Nachmittag sind Gewitter angekündigt. Der Weg geht zunächst wieder einen Teil zurück und zweigt dann nach links Richtung Zeinenfurgglen ab. In der grössten Kiesgrube des Kantons Glarus und umgeben von bizarren Gesteinsformationen steige ich auf. Unter den Füssen rutschen immer wieder Steine weg, der Weg führt über Geröll. Mir wird die Veränderlichkeit der Natur bewusst. Selbst die Berge stehen nicht einfach da, sondern sind immer in Bewegung. Und dann sehe ich sie, die steinerne Schnecke, fast oben, am Grat, wie ein Schneckenhaus haben sich hier die Gesteinsformationen gewunden.
Oben treffe ich ein junges Paar, das tatsächlich dort im Zelt übernachtet hat. Kalt sei es nicht gewesen, versichern sie mir - ausser wenn der Wind geblasen habe. Das tut er hier allerdings noch gerne. Hinab geht's auf der anderen Seite durch eine surreale Mondlandschaft. Auf der Alp Bösbächi begegnet mir eine Gruppe Lamas, die fotogen vor der Glarner Bergwelt posiert und mir ein Lächeln entlockt, einfach, weil die Tiere da sind. Nach dem Abstieg zum lauschigen Bergrestaurant Bächialp folgt nochmals ein Aufstieg zum Seeblengrat. Die Wolken werden dunkler, während ich mit der Aussicht auf Braunwald die letzten Kilometer bis zum Ortstockhaus zurücklege. Das denkmalgeschützte Haus bietet eine heimelige Atmosphäre und eine grandiose Aussicht. Hier gönne ich mir die erste richtige Dusche seit Tagen. Man gewöhnt sich schnell ans einfache Leben in den Berghütten, man wird aber auch schnell wieder verwöhnt, wenn man wieder etwas mehr Komfort bekommt.
Etappe 06 Via Glaralpina - Gipfelziel Ortstock, das Braunwalder Matterhorn & Etappe 07 Via Glaralpina - Teuflisches Schrattenlabyrinth
21.07.2022 - Der Kanton Glarus ist derart weltoffen, dass "sein" Weitwanderweg auch durch drei Nachbarkantone führt. Da ich die Etappen 6 und 7 an einem Tag mache, bin ich heute in drei Kantonen unterwegs. Zunächst geht es über den Bärentritt in den Kanton Schwyz. Der Himmel ist wolkenverhangen, was ich nach den hitzigen letzten Tagen schätze. Der Nachteil ist natürlich, dass ich die Aussicht nicht geniessen kann.
Nach dem Bärentritt betrete ich eine Hochebene. In Nebel und Nieselregen über das Gras zu wandern, erzeugt eine sagenhafte Stimmung. Dann folgt nochmals ein steiler Aufstieg über die Furggele ins Glattalptal. Beim Glattalpsee werden meine Gedanken durch Musik unterbrochen: Am Ufer spielen drei Musiker vor einigen Leuten melancholischen Bluegrass. Wie ich erfahre, ist das vierte Bandmitglied kürzlich verstorben. Am Glattalpsee erweisen ihm seine Familie und Freunde die letzte Ehre und verstreuen seine Asche. Ein würdiger Abschied. Mir ist andächtig zumute, während ich weiterwandere.
Nach einer Rast am See und dem Blick zum Etappenziel 06, der Glattalphütte SAC, das ich mangels mehr Ferientagen auslassen muss, geht es nun weiter nach Uri. Ein steiler Aufstieg führt auf die Hochebene Mären, eine Landschaft aus Kalkstein, der von Rissen zerfurcht ist und einen spektakulären Anblick bietet. Nun folgt der stotzige Abstieg zum Urnerboden, dem kleinen Dorf, das zwar vor dem Klausenpass liegt, aber dennoch zu Uri gehört. Hier finde ich im Gasthaus Urnerboden mein Nachtlager. Die zwei Etappen auf einen Streich – doch, ich spüre sie ganz schön in den Beinen. Im Vorfeld habe ich trainiert, bin viel wandern gegangen und doch jetzt – mit einer langen Etappe vom Vortag in den Beinen wieder loswanden – ist nicht ohne. Ich bin aber stolz, dass ich es bis hierher geschafft habe, und tanke mit einer feinen Spätzlipfanne ganz viel neue Energie.
Etappe 08 Via Glaralpina - Gämsfairen - von der Wanderratte zum Gletscherfloh
22.07.2022 - Nach dem anstrengenden Tag gestern schlafe ich erst einmal aus. Michi, der mich ab heute drei Tage begleitet, kommt erst um 10 Uhr mit dem Bus an. Vorher nutze ich die seltene Gelegenheit, einzukaufen und meine Essensvorräte aufzufüllen. Bei strahlender Sonne brechen wir auf in Richtung Fisetengrat. Von dort geht es weiter bis zum Gämsfairenjoch. Dort beschliessen wir, einen Abstecher auf den Gämsfairenstock zu machen. Durch brüchiges Gestein steigen wir auf den Gipfel, wo sich uns eine prachtvolle Aussicht bietet: Vor uns breitet sich der weite Claridengletscher aus, im Hintergrund thront der Tödi.
Vom Gemsfairenjoch geht der Weg steil zum Gletscher hinunter. Dort tasten wir uns vorsichtig übers Eis vor, bis wir wieder festen Boden unter den Füssen haben. Wir sehen den Gletschersee in der Sonne glänzen und entscheiden uns spontan zu einem Bad. So erfrischend - fast zu erfrischend, jedenfalls schwimmen wir nur einmal um die Eisschollen herum und flüchten dann wieder aus dem Wasser. Frisch und froh legen wir die letzten Meter zur Claridenhütte SAC zurück, wo wir auf der Terrasse die letzten Sonnenstrahlen geniessen, bevor sich die Wolken durchsetzen. Entspannung ist angesagt, bevor morgen wieder ein Tag mit zwei Etappen ansteht.
Etappe 09 Via Glaralpina - Audienz beim höchsten Glarner & Etappe 10 Via Glaralpina - Wo einst Kurgäste weilten
23.07.2022 - Der Himmel ist wolkenverhangen, als wir uns kurz nach 8 Uhr auf den Weg machen. Gemütlich geht's auf und ab, über Alpen und Bäche in Richtung Fridolinshütte SAC - stets mit dem Tödi im Blick, der über allem thront. Begleitet werden wir zeitweise von einer Hirtin, die ihre Schafherde in die gleiche Richtung treibt. Bei der Fridolinshütte treffen wir Loris und Remo, die mit uns bis Tierfed wandern.
Wir überlegen uns noch, einen Abstecher zur Grünhornhütte SAC zu machen, entscheiden uns aber dagegen. Das stellt sich als guten Entscheid heraus, denn als wir durch die Linthschlucht gehen, setzt starker Regen ein. Die Schlucht ist dennoch eindrücklich: Weit unter uns schiesst und zischt das Wasser zwischen den steilen Felsen hindurch. Im Tierfed hat der Regen fast aufgehört. Hier verabschieden sich Loris und Remo, während Michi und ich noch den kurzen Aufstieg zum Berggasthaus Obbort in Angriff nehmen. Es tut richtig gut, nach so vielen Höhenmetern bergab wieder etwas bergauf zu gehen.
Sieben Tage bin ich nun unterwegs auf der Via Glaralpina. Die Zeit kommt mir kürzer vor. Es war bisher eine sehr intensive, anstrengende, aber auch wunderschöne Tour voller Eindrücke und Erlebnisse. Die Hälfte ist nun vorbei - und ich hoffe, dass die zweite Halbzeit ebenso schön wird wie die erste.
Etappe 11 Via Glaralpina - Steinbocksafari in Blumenvielfalt
24.07.2022 - Der Tag beginnt mit einem Frühstück auf der Obbort-Terrasse mit Blick auf den majestätischen Tödi in der Morgensonne. Der Weg geht später sogleich steil nach oben, durch Buchenwald und dann durch felsiges Gelände. Das Panorama sollte man hier nicht zu sehr geniessen – das muss warten bis auf der Baumgartenalp. Hier steht auch die längste Trockenmauer des Kantons Glarus: 800 Meter lang schlängelt sie sich über der Felswand und bewahrt dort die Kühe vor dem Absturz. Da ich einst selber Trockenmauern gebaut habe, weiss ich, welche Arbeit hinter dem Bauwerk steht, und bin beeindruckt.
Ebenso beeindruckt bin ich vom Alpkäse, den es hier zu kaufen gibt. Die Älplerin, die ihn herstellt, erzählt vom Handwerk des Käsens und dessen Herausforderungen. Den Käse geniesse ich danach umso mehr. Als Michi und ich weitergehen, begegnen wir noch den Besitzern der Alp und kommen ins Gespräch. Finanziell sei die Alpwirtschaft nicht einträglich, erzählen sie. Dennoch ist es ihnen wichtig, diese Form von Kulturland zu erhalten.
Nach dem Chalchtrittli, wo die Seilbahn von Tierfed ankommt, begegnen wir deutlich mehr Leuten auf dem Weg. Unsere Hoffnung, auf der Nüschenalp Steinböcke zu sehen, erfüllt sich vielleicht auch deshalb nicht. Das ist aber schnell vergessen, als wir den Muttsee mit den Muttenbergen im Hintergrund erblicken. Auf der Anhöhe davor ist die Muttseehütte SAC, unser heutiges Tagesziel. Vorher muss aber noch ein kurzes Bad im Muttsee drinliegen. Diese Erfrischung und die anschliessende Stärkung in der Hütte bilden den würdigen Abschluss des Teils der Tour, auf dem Michi mich begleitet. Er verabschiedet sich wieder ins Tal. Und dann, kurz vor dem Abendessen, sehe ich sie doch noch: Zwei Steinböcke stehen in unmittelbarer Nähe zur Hütte und schauen neugierig hinüber. Der Tag ist perfekt.
Etappe 12 Via Glaralpina - Muttenberge - Schiefermikado für Grenzgänger und Weitsichtler
25.07.2022 - Die ersten Sonnenstrahlen scheinen auf die Muttseehütte SAC, als ich mich auf den Weg mache. Heute erwartet mich ein gemütlicher Tag mit nur gerade 500 Höhenmetern. Von weitem erinnert die Bergflanke, die ich hinaufsteige, an den Grand Canyon. Der Weg ist aber angenehm, ich gehe praktisch immer im Schatten bis zur Kistenpasshütte SAC. Diese kleine, urchige Hütte klebt förmlich am Berg und bietet eine fantastische Aussicht auf das Kistenstöckli über den Tödi bis zum Limmernsee, der tief unten hellblau leuchtet.
Als ich einen Kaffee bestelle, fragt mich die Hüttenwartin Ramona unvermittelt: "Bist du Lukas Leuzinger?" Es stellt sich heraus, dass sie meine Tour auf Instagram verfolgt und angesichts meines Via-Glaralpina-Shirts eins und eins zusammengezählt hat. Sie zeigt mir die Hütte und erzählt aus ihrem Alltag. Es muss eine besondere Herausforderung sein, hier oben auf so engem Raum bis zu 14 Gäste zu beherbergen und zu bewirten. Es wird auf jeglichen Schnickschnack verzichtet und doch fehlt es an nichts. Eine kleine Kabine, in der wohl eine Wassergelte steht, ist mit "Hammam" angeschrieben.
Ich steige weiter auf bis zum Gipfel der Muttenberge, von wo man auf die Bündner Seite des Gebirges sieht. Der weitere Weg ist eine Grenzwanderung: Auf dem Grat geht es hinab zum Kistenpass; links liegt der Kanton Graubünden, rechts Glarus. Einmal kommt mir eine Wanderin entgegen und zeigt zur Begrüssung nur auf den Hang rechts hinter mir. Ich drehe mich um - und sehe sechs Steinböcke in unmittelbarer Nähe.
Beim Kistenpass verlasse ich Glarus dann ganz - wenn auch nur für einen Tag. Auf dem letzten Stück Richtung Bifertenhütte AAC werden die Wolken dichter. Für den Nachmittag ist Regen angesagt. Zum Glück ist die heutige Etappe so kurz. Ich nutze den freien Rest des Tages um mich zu regenerieren, zu lesen und den Ausblick über die Surselva zu geniessen.
Etappe 13 Via Glaralpina - General Suworow, auch ein Weitwanderer
26.07.2022 - Es hat die ganze Nacht gestürmt, und auch am Morgen regnet es. Kurz bevor ich aufbreche, hört der Regen aber auf. Gutes Timing! Durch den Nebel gehe ich in Richtung Falla Lenn und von dort durch die Cavorgia da Vuorz. Die raue, steinige Landschaft wirkt im Nebel ganz mystisch. Nicht zu lange bergauf, nicht so lange bergab - so ist Bergwandern gemütlich. Auf dem ganzen Weg begegnet mir kein anderer Wanderer. Ich geniesse die Einsamkeit und wandere zufrieden durch die Mondlandschaft.
Am Mittag komme ich in der Panixerhütte an. Ich bin der Erste. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weil die Hütte die einzige ist, wo man nicht reservieren kann. Nun muss ich also nicht draussen schlafen. Tatsächlich ist die Hütte zwei Stunden später aber praktisch voll. Zwei Gruppen, die später ankommen, ziehen weiter. Ich verbringe den Nachmittag meist lesend und schreibend. Ich schätze es, dass die letzten zwei Etappen relativ kurz waren. Nun bin ich regeneriert und bereit für die morgige Etappe, die wieder etwas weiter und auch anspruchsvoller wird.
Weit hatte es auch General Suworow, der 1799 mit seinem Heer hier auf seiner Flucht vorbeikam. Eine Erinnerungstafel hängt an der Wand der Schutzhütte. Weit zurück liegt diese Geschichte. Und meine Gedanken schweifen wieder weg von ihr, hin zur eindrücklichen Umgebung, welche die Schutzhütte umgibt.
Etappe 14 Via Glaralpina - Vorab - für Grenzgänger und Gratschlängler
27.07.2022 - Am Morgen ist es noch immer neblig draussen. Es regnet zwar nicht mehr, doch der Boden ist nach wie vor feucht. Ich frage mich, ob es nicht klüger wäre, auf die Überschreitung des Vorabs zu verzichten und stattdessen durchs Tal über Elm zu Martinsmadhütte SAC zu gehen. Ich beschliesse, den oberen Weg zu versuchen und im Zweifelsfall umzukehren. Der Weg ist steil und es gibt ein paar ausgesetzte Stellen, der Fels ist aber meist trocken, so, dass ich sicher vorwärtskomme.
Das Wetter bleibt allerdings trüb, nur hie und da blinzelt die Sonne zwischen den Wolken hervor. So muss ich auf die Aussicht von Bündner und Glarner Vorab verzichten. Ich geniesse den Aufenthalt dennoch, denn mit dem Bündner Vorab (3028 Meter über Meer) habe ich den höchsten Punkt der Via Glaralpina erreicht. Der Abstieg erfolgt über den Vorabgletscher – respektive was davon übrig ist, denn der schneearme Winter und der heisse Sommer haben ihm sichtlich zugesetzt. So wird die Gletscherüberschreitung zur Durchquerung einer Steinwüste. Nun gilt es noch einige steile Passagen zu bewältigen, die mit Ketten gesichert sind. Dann sehe ich die Martinsmadhütte SAC vor mir. Ich bin stolz und glücklich, schon so weit und hoch auf der Via Glaralpina gekommen zu sein. Nun muss nur das Wetter die nächsten Tage noch mitspielen, dann wird auch der Abschluss meiner Tour perfekt.
Etappe 15 Via Glaralpina - Munter rauf und runter - nur umgekehrt und bunter
28.07.2022 - Ich stehe früh auf, denn heute ist eine lange Etappe. Zudem sind für Nachmittag Gewitter angesagt. Nach einem stärkenden Frühstück steige ich von der Martinsmadhütte SAC ab auf die Tschinglen-Alp. Ich beschliesse, meinen Knien den weiteren Abwärtsweg zu ersparen und die Tschinglenbahn zu nehmen. Dafür mache ich nachher noch einen Umweg nach Elm und fülle meine Essensvorräte auf.
Dann nehme ich den Aufstieg auf den Fanenstock in Angriff. Der Weg ist anstrengend, aber wunderschön. Er führt durch einen wunderbaren Wald auf die Alp Camperdun und dann auf den Gipfel. Dort treffe ich einen Elmer Bauern, der hierher gekommen ist, um seine Kühe auf der Alp zu besuchen und mit ihnen zu reden. Als ich ihm sage, dass ich in Hinwil wohne, erzählt er mir, dass er einige Jahre für ein Hinwiler Lohnunternehmen gearbeitet hat. Wie klein die Welt doch ist!
Ich gehe weiter auf dem Grat und dann hinunter zum Stuelegghorn. Der steile Abstieg erfordert Konzentration und Trittsicherheit. Nach dem Stuelegghorn führt der Weg wieder durch einen lieblichen Bergwald hinab ins Chrauchtal. Von dort gibt es zum Abschluss noch einen kurzen Aufstieg in die Weissenberge. Dort erwartet mich im Berggasthaus Edelwyss ein Feinschmecker-Abendessen, wie man es sich nach dieser anstrengenden Etappe nicht besser wünschen könnte. Etwas verspätet zieht das Gewitter doch noch auf. Ich geniesse es, vom gemütlichen Zimmer nach draussen in den Regen zu schauen. Morgen wird es wohl umgekehrt sein.
Etappe 16 Via Glaralpina - UNESCO Weltnaturerbe - aussergewöhnlich nah
29.07.2022 - Ich starte mit einem währschaften Frühstück mit frischem Brot und Produkten vom Edelwyss-eigenen Hof in den Tag. Für den Nachmittag ist wieder Regen angesagt. Ich überlege mir, die Alpinroute über den Gulderstock und den Wissmeilen wegzulassen und direkt ins Mülibachtal zu gehen. Die Aussicht über Chrauch- und Mülibachtal sowie die UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona möchte ich mir aber nicht entgehen lassen, und so hoffe ich, dass es bis Wissmeilen trocken bleibt.
Die Landschaft wandelt sich, während ich rasch an Höhe gewinne: Erst geht es durch ein Hochmoor, dann durch Bergwälder, schliesslich zwischen Sträuchern und Büschen hindurch. Die Wanderung wird anspruchsvoller, auch eine kurze Kraxelpassage gilt es zu bewältigen. Vom Gulderstock bietet sich ein fantastischer Ausblick auf weite Alpen und faszinierende Gesteinsschichten.
Was folgt, ist die schönste Gratwanderung, die ich je gemacht habe. Vom Gulderstock geht es über wechselnde Gesteinsarten bis zum Wissmeilen. Bunte Felsen türmen sich auf, das Gestein ist erst lila, rot und violett, dann alsbald grau und weiss. Was die Natur alles kann! Auf dem Wissmeilen endet der Alpinwanderweg; durchs Mülibachtal geht es auf einen einfachen Bergwanderweg weiter – zum Glück, denn schon fallen die ersten Tropfen, und bald wird der Regen stärker. Ich beschleunige mein Tempo und und bin froh, dass ich die Skihütte Mülibachtal rasch erreiche. Dort begrüsst mich Susanne, die vorübergehend als Hüttenwartin amtet, mit Kaffee und Kuchen – eine Wohltat nach dieser langen Etappe! Ich entspanne mich in der urchigen Hütte, während es draussen weiter regnet.
Etappe 17 Via Glaralpina – Chüebüch und Schoggigrat – süsse Versuchung für Bergwanderer
30.07.2022 - Die Via Glaralpina nähert sich dem Ende. Heute ist bereits der zweitletzte Tag meiner Tour. Die Etappe führt mich zunächst durch Blumenwiesen, bevor der Weg Richtung Gufelstock steiler und steiniger wird. Beeindruckend sind einmal mehr die unterschiedlichen Gesteinsarten, die mal tiefrot, mal bläulich oder schneeweiss unter meinen Füssen schimmern.
Vom Gufelstock gehe ich weiter auf dem Schoggigrat Richtung Schwarzstöckli. Mein Blick schweift über die malerischen Fessis-Seeli, die linkerhand auf einem Hochplateau liegen. Auf dem Schwarzstöckli führen seit der grossen Gemeindefusion von 2011 die Grenzen der drei neuen Glarner Gemeinden zusammen. Hier verlasse ich die Gemeinde Glarus Süd, auf deren Gebiet ich mehr als eine Woche unterwegs gewesen bin, und wechsle nach Glarus Nord. Wenig um Gemeindegrenzen kümmert sich eine Kolonie von rund zwei Dutzend Steinböcken, die es sich direkt unter dem Gipfel bequem gemacht hat. Überhaupt habe ich heute Glück mit Tieren: Kurze Zeit später begegnet mir eine Gämse, und dann hüpft auch noch ein Schneehuhn über den Weg.
Langsam setzt sich die Sonne gegen die Wolken durch, während ich zum Fronalppass wandere. Spontan beschliesse ich, noch einen kurzen Abstecher auf den Fronalpstock zu machen. Von dort bietet sich eine eindrucksvolle Aussicht über Glärnisch, Wiggis, Brüggler bis zum Planggenstock, den ich vor genau zwei Wochen an meinem ersten Via-Glaralpina-Tag bestiegen habe. Ich denke an die vielen anstrengenden, aber schönen Wanderstunden zurück, die mich langsam nach Süden gebracht haben. Nun gehe ich in die andere Richtung und bin fast schon wieder am Startpunkt. Ich freue mich auf den letzten Tag, während ich vom Fronalpstock zum heutigen Etappenziel, dem Naturfreundehaus Fronalp, hinuntergehe. Auf der Terrasse geniesse ich die Abendsonne und ein feines Znacht. Die für mich letzte Übernachtung auf der Via Glaralpina... Ich habe auf der ganzen Tour immer ausgezeichnet geschlafen. Ob es an der Höhenluft lag – oder meiner Müdigkeit nach den vielen Höhenmetern?
Etappe 18 Via Glaralpina - Botanische Voralpen-Wander-Grattour & Etappe 19 Via Glaralpina - Finisherschwumm im Walensee
31.07.2022 - Der letzte Tag meiner Reise bricht an. Beim Frühstück auf der Terrasse geniesse ich noch einmal den Blick ins Tal und auf die Berge auf der anderen Seite. Dann geht’s los. Die letzte Etappe ist nochmals ein echter Leckerbissen. Bald steigt der Weg steil an zum Nüenchamm. Eindrücklich sind die Pflanzen, die hier blühen. Eine solche Vielfalt an Blumen habe ich selten gesehen.
Über einen Grat und ein paar mit Ketten gesicherte Kletterstellen komme ich zum Gipfel. Das Wetter meint es zum Abschluss nochmals gut und die Aussicht über die Linthebene und den Walensee ist prächtig. Nun gilt es nochmals einige Höhenmeter bergab zu bewältigen bis nach Weesen. Dort belohne ich mich mit einem erfrischenden Bad im Walensee. Zum Abschluss macht die Via Glaralpina etwas, was sie die letzten zwei Wochen kaum einmal machte: sie geht nicht hinauf oder hinunter, sondern geradeaus.
Der gemütliche Spaziergang dem Linthkanal entlang bietet die Gelegenheit, die Tour nochmals Revue passieren zu lassen. Rund 230 Kilometer habe ich zurückgelegt und fast 20’000 Höhenmeter bewältigt. Das habe ich in den Beinen gespürt, doch es war zugleich sehr befriedigend, nach einem schweisstreibenden Aufstieg die Aussicht zu geniessen und am Abend in gemütlicher Hüttenatmosphäre zu entspannen. Es waren intensive zwei Wochen. Ich habe unglaublich viel gesehen, erlebt, Neues gelernt und interessante Menschen kennengelernt. Als ich im Zug wieder heimwärts sitze, kommt es mir ganz seltsam vor, ohne eigene Anstrengung vorwärts zu kommen. So sehr habe ich mich daran gewöhnt, mit eigener Kraft Weiten zu überwinden. Die Weiten des Glarnerlandes, die man nicht ahnt, wenn man nicht hinaufsteigt. Was mir bleibt, wenn der Muskelkater abgeklungen sein wird, ist die Erinnerung an eine intensive, abwechslungsreiche, anstrengende, eindrückliche und einmalige Erfahrung. Die es will, dass ich wieder mit Freunden zurückkehre.
Allmählich verschwinden die Glarner Alpen aus dem Blickfeld, doch meine Gedanken sind noch lange in den Bergen – und auf der Via Glaralpina.
9 Fragen an Lukas Leuzinger
Am wichtigsten ist gutes Schuhwerk, gute Socken und Blasenpflaster für den Notfall. Bei den meisten Dingen findet man irgendeine Lösung, wenn sie fehlen, aber wunde Füsse kann man nicht ersetzen.
Weniger ist mehr. Ich hatte zum Beipiel viel zu viel Proviant eingepackt. Ein paar Tüten Trockenfrüchte blieben bis am Ende der Reise unangetastet, womit ich natürlich unnötig Gewicht herumgetragen habe.
Ich hatte den Via Glaralpina Wanderführer dabei. Ergänzend dazu habe ich die SchweizMobil- und Swisstopo-Apps genutzt. Einen kleinen Kompass hatte ich dabei, aber nie gebraucht.
Meistens mit dem Wanderführer. Ich hatte auch ein GPS-Gerät für den Notfall, das ich aber nicht brauchte.
Ich bin in normalem Wandertempo gegangen, ausser zweimal, als Gewitter angesagt waren, da habe ich ein etwas höheres Tempo angeschlagen.
Vielleicht zehn Kilogramm. Einige Dinge, die ich anfangs dabei hatte, habe ich Freunden, die mich begleiteten, mitgegeben, weil ich sie nicht brauchte (beispielsweise ein Batterieladegerät und ein T-Shirt).
Die Auswahl ist nicht leicht, aber wenn ich mich festlegen muss: Der Aufstieg zum Wiggis mit der grossartigen Aussicht und die anschliessende Erfrischung im Klöntalersee.
Am meisten erstaunt war ich darüber, wie wenig vom Glarnerland ich eigentlich kannte, obwohl ich schon unzählige Male dort war und glaubte, den Kanton zu kennen.
Einen knappen Tag :) Die letzte Etappe war nicht so anstrengend.