Tödi – Berg der Sehnsucht

Nicht nur für Emil Zopfi ist der Tödi Sehnsucht und Traum. Für Bergsteiger und Skihochtourengänger ebenso. Von Weitem sieht man sein weisses Haupt und seine majestätische Gestalt, stattliche 3612 Meter ist er hoch. Moni Bont von der Alpinschule Glarnerland nimmt einen mit auf den Berg.
«Mitten in der Nacht klingelt mein Wecker. Sofort bin ich hellwach. Es herrscht bereits emsiges Treiben in der Hütte. Ich höre gedämpfte Stimmen, Schritte poltern durch den Gang, Geschirr scheppert in der Küche. Am Frühstückstisch kämpfe ich mit dem Müesli. Meine Magennerven sträuben sich dagegen. Bald stehen wir vor der Hütte, in kompletter Hochtourenausrüstung mit Stirnlampen auf den Häuptern. Die Nacht ist klar, der Himmel sternenübersät, kalte Luft dringt in unsere Lungen. Im Lichtkegel der Lampen geht es los Richtung Bifertenfirn. Wie auf rohen Eiern fahren wir ‹angefellt› die Moräne hinunter auf den Gletscher. Hier nimmt uns der Bergführer ans Seil. In moderatem Tempo gleiten wir über die Fläche und steigen östlich über den ersten Abbruch hoch. Geschickt wählt der Bergführer den Weg durch die Spaltenzone. Der zweite Abbruch weist deutlich mehr Spalten auf und mir wird ein bisschen mulmig beim Überqueren der Gletscherbrücken. Doch das Seil und die kompetente Führung geben mir Vertrauen. Ein bisschen lenkt auch die magische Stimmung ab, die mit dem Aufgang der Sonne einhergeht. Die Felswände erstrahlen in goldenem Licht, über uns ein wolkenloser blauer Himmel, glitzernder Schnee zu unseren Füssen. Wie in Trance schreiten wir voran unserem Traum entgegen. Bei der Klagemauer, dem letzten steilen Gletscheraufschwung, spüre ich so langsam die Müdigkeit in den Gliedern. Doch kaum ist das Hindernis überwunden, sind alle Mühen vergessen. Nur noch ein paar Schritte und wir sind beim Gipfelkreuz. Wir liegen uns in den Armen und gratulieren, strahlen um die Wette, machen Erinnerungsbilder und bestaunen das Panorama. Weisshorn, Mont Blanc, Bellavista und der Piz Bernina, welch eine Aussicht! Nach einer ausgiebigen Gipfelrast gibt uns der Bergführer Anweisungen für die Abfahrt. In kurzen Abständen fahren wir hinter ihm her, immer auf der Hut nach gefährlichen Spalten. Mir graut es vor der Querung des Abbruchs. Doch was im Schein der Stirnlampe noch furchteinflössend wirkte, ist bei Tageslicht doch deutlich harmloser. Bald erreichen wir das Ende der Gletscherzunge, der Schnee wird schon deutlich schwerer und die Schwünge kräftezehrender. Eine kurze Einkehr in der Fridolinshütte SAC lassen wir uns nicht nehmen. Wir gönnen uns ein kühles Bier und stärken uns mit frischer Wähe. Bald mahnt der Bergführer zum Aufbruch. Es ist warm geworden und einige steile Hänge liegen noch vor uns. Also los! Es braucht noch einmal Muskelkraft. Nach gut 2800 m Abfahrt sind wir zurück im Tal. Wir sind erschöpft und dennoch unendlich dankbar und glücklich über das wunderbare Erlebnis, den Tödi bestiegen zu haben. Ein lang gehegter Traum ist wahr geworden.»