Faszination Schnee - ein Bergführer will den Schnee verstehen

 

Wer etwas über Schnee wissen will, muss Hansueli Rhyner fragen. Als Ski-Trainer, Wachsspezialist sowie Schnee- und Lawinenforscher hat sich Hansueli Rhyner ein Leben lang mit ihm beschäftigt. Ist es da Zufall, dass seine Hündin Hyvä aussieht wie ein Schneeball auf vier Pfoten?

Delia Landolt: Hansueli, in den Bergen ist man per Du. Kannst du uns erklären, wieso Schnee das faszinierendste Material überhaupt ist?
Hansueli Rhyner: Es gibt ihn als superleichten Pulver, als Knetmasse für Schneebälle, als pickelharte Piste. Aber es ist immer dasselbe Material.


Wie ist das möglich?
Schnee ist ein «heisses» Material. Ob -20 oder gegen 0 Grad Celsius, ist Schnee immer nahe am Schmelzpunkt und verändert sich dadurch sehr schnell. Trotzdem können wir ihn in die Hände nehmen, das ist mit sämtlichen anderen Materialien nahe am Schmelzpunkt nicht möglich, weil sie glühen.


Wie können wir das beobachten?
Je kälter ein Material wird, desto härter wird es. Bei -30 Grad ist ein Schneekorn fast so hart wie ein Sandkorn. Bei -20 Grad haben wir ganz leichten Pulverschnee, genial zum Skifahren. Je wärmer, desto plastischer wird der Schnee – perfekt für eine Schneeballschlacht.


Wann wurde dir bewusst, dass dich der Schnee so fasziniert, dass du ihm dein ganzes berufliches Leben widmest?
Da war ich im Rennservice einer Wachs firma tätig und realisierte, dass niemand etwas vom Schnee versteht.  Es gab Meinungen, Regeln, der Glaube, wann ein Ski schnell sein müsste – nicht alles stimmte. Weil ich Bergführer bin, dachten viele, ich wisse mehr über Schnee. Tat ich aber nicht. Ich begann, die Piste zu charakterisieren, mich mit dem Material Schnee auseinanderzusetzen.


Und du hast mit der Lupe die Korngrösse und -form des Schnees untersucht. Wie hast du weiter am Gleiten auf Schnee getüftelt?
Im Rennsport sprachen alle von einem Wasserfilm, der beim Gleiten unter dem Ski entstehen soll. Ich wollte endlich diesen Wasserfilm sehen. Also rüstete ich einen Ski mit Temperatursensoren aus – und scheiterte kläglich. Dann kam der damalige Leiter des Schnee- und Lawinenforschungs-Instituts SLF  Davos auf verschiedene Firmen zu, mit dem Vorschlag, in einem gemeinsamen Projekt mehr über das Gleiten auf dem Schnee herauszufinden. Ich war Feuer und Flamme. Endlich konnten wir die Physik des Schnees «erforschen», denn die Chemiker der Wachsfirma schienen nicht weiterzukommen.  Bis zu seiner Pensionierung blieb Hansueli Rhyner beim SLF. Jedes der 26 Jahre war für ihn ein Lernjahr – sie untersuchten Freestyle Tricks, Winterreifen oder Schneefräsen. Je mehr er über den Schnee lernte, desto mehr faszinierte er ihn. Mit einer Frage zu seiner Kindheit kommt der 67Jährige zurück zum Ursprung seiner Begeisterung.


Du bist im Steinibach, zuhinterst in Elm aufgewachsen, viel tiefer im Schnee geht fast nicht.
Ja, damals war das wohl so.


Wie hat dich das geprägt?
Meine Eltern hatten einen Bauernhof mit sieben abgelegenen Ställen. Mein Vater musste viel laufen, jeden Morgen und Abend mit 40 Litern Milch auf dem Rücken. Der Schnee und das Wetter waren deshalb täglich ein Thema. Wir Kinder konnten im Winter nichts anderes tun, als im Schnee herumzutollen und Ski zu fahren. Da waren aber auch die Lawinen – auf dem Schulweg galt: «Wenn die Lawine kommt, müsst ihr hinter die Strassenmauer knien und warten, bis der Staub weg ist.» Teilweise mussten wir auch zu Hause bleiben, weil es zu gefährlich war. Aus dem jungen Elmer wurde ein Bergführer, dann ein Skilehrer – bald auch in Australien, wo er sich mit Handörgelen hocharbeitete. Schliesslich tourte er als Cheftrainer mit der neuseeländischen Nationalmannschaft um die Welt. Heute ist er oft in Begleitung seiner Hündin Hyvä im Glarnerland unterwegs.


Ist es Zufall, dass Hyvä aussieht wie ein Schneeball auf vier Pfoten?
Natürlich nicht – ein Schneehund passt einfach zu mir! Als Hüttenwart in der Planurahütte wollten wir einen Hund. Schlittenhunde sind die einzigen, die im Schnee keine Augenprobleme bekommen. Jedoch sind sie für eine Hütte nicht geeignet, mit Ausnahme der Samojeden. Hyvä ist nun meine dritte Hündin dieser Rasse, eine andere Rasse käme nicht in Frage.


Was für Schneeeigenheiten gibt es im Glarnerland?
Da wir auf der Alpennordseite oft in sogenannten Staulagen sind, gibt es oben in den Bergen meistens grössere Schneemengen. Diese dicken Schichten sorgen für eine meist stabile Schneedecke und die Bildung von Schwachschichten ist geringer. So haben wir oft gute Verhältnisse auf Skitouren. Das macht – neben anderem – das Glarnerland zu einem Skitourenparadies.


Wie wirkt sich dein Wissen auf deine Skitouren aus?
Ich weiss, wann oder warum der Schnee an den Fellen klebt. (lacht) Ich kenne aber auch die Lawinenprozesse. Kein Buch ist so interessant wie das Beobachten des Schnees beim Laufen. Die Faszination, wie er sich über die nächsten Stunden und Tage verändern wird, begleitet mich fast auf jedem Schritt.