Ein typischer Glarner

«Heider oder weider?», so begann der Ruf des Glarner Zigermandlis. Es lief von Haus zu Haus und verkaufte aus seiner geflochtenen Trage das Glarner Zigerstöckli, das an so manchem Familientisch nicht mehr wegzudenken war. Ein Relikt aus alten Zeiten? Bei Weitem nicht.

TEXT Fredy Bühler und Maya Rhyner BILDER Landesarchiv des Kantons Glarus und Maya Rhyner

«Heider oder weider? Guätä, echtä Glarner Ziger? Ihr chänd nä id Händ inänii, ihr chänd nä i all Wänd ufägchiiä, er tuät ech nüd verhiiä.»
Das Zigermandli. Man kannte es in der Stadt und auf dem Land, es lief durch die Strassen und Gassen und verkündete mit seinem Ruf, dass der Glarner Schabziger wieder zu kaufen ist: «Gad grüäzech wuähl, ihr liäbä Lüüt, ich chumä halt, wänns au nüd schniit, und trägä üch dr Ziger aa, dä Chindä, dr Muäter, und em Maa. Ich bi dr Ziger-Kari, ja ussem Glarnerland, ich stell mi vor und sägä üch allnä mitänand, wänd ihr im Läbä Gsundheit und fridli zämä si, so nänd äs Zigerstöggli, vum Karli mönders nii.» **
SRF Archiv / Glarner Ziger 1966

Persönlich und nah

Ziger wurde früher auf mehreren Glarner Alpen hergestellt. Rund 90 Alpen und 120 Sennten zählt das Glarnerland. Sennten, die zigerten, gab es bis im Jahr 2000 noch rund deren 40. Das Rezept hätten die Glarner von einem Wilden Mandli gehabt, heisst es in der Archiv- Perle des Schweizer Fernsehens von 1966. Was man weiss, ist, dass schon im 15. Jahrhundert weisser Ziger auf den Glarner Alpen hergestellt und im Tal mit «Zigerchruut» gefärbt und angereichert wurde. Er gilt als gesund, weil er aus Magermilch hergestellt wird. Und dann eben wurde das Zigermandli ausgesandt – oder eher – die Zigermandli. In den 1940er-Jahren waren es 300 dieser hausierenden Verkäufer: innen. Rund die Hälfte der damaligen Produktion ging durch ihre Hände. «Dr Sänn läärt diä frisch gmulchä Milch nüd diräggt ids Zigerchessi inä, nei, er läärt sie inäs Gfäss vudr Zäntrifuugä. Und dä trännt sich d Magermilch vum Nidel. Jetzt tschöderlet dr Nidel vu dr Fuugä id Tasä inä, s isch ä schüüs Luägä. Und uf dieser Siitä lauft diä blaab Milch direkt i das chupferi Sennchessi inä. Dr Nidel wird alltag abgholt (…) und chunt as Vorzugsbutter i Handel – mir säged dem Brüütlianggä. Under dr abgniidletä Milch wird gfüürlet, bis si afaht süüdä – ez sött diä Milch scheidä (…) drum läärt dr Sänn Etscher ids Chessi, suuri Schottä. Diä bringt de heiss Milch zum Scheidä.» **

Von früher zu heute

Der urige Glarner Alpziger wird heute noch auf einer Alp im Glarnerland hergestellt. Es ist die Alp Obersee-Rauti ob Näfels, die Sennte Änziunen von der Familie Sigfried und Myrtha Fischli-Good. Sie produzieren noch Alpziger nach eben diesem Erzählten, reichern ihn selber mit Zigerklee an und vermarkten den einzigen Glarner Alpziger direkt – die ganze Familie hilft mit. Für die grossen Mengen an Glarner Schabziger steht heute die Schabzigerfabrik GESKA AG in Glarus, die den Rohziger aus der Glarner Bergmilch gewinnt, welche verschiedene Glarner Familienbetriebe im Talboden liefern. So etwa Familie Gwerder aus Glarus. Auch dieser wird nach altem Rezept produziert, in den modernen Anlagen der Schabzigerfabrik. So kann das Glarner Schabzigerstöckli in alle Welt geliefert werden. Denn es musste sich ständigen Veränderungen auch hinsichtlich Auflagen und Vorschriften anpassen.

Wie anno duäzis auf Obersee-Rauti

«So falled langsam äso wiissi Flöggli, we Wattäbüüschäli, ufä Chessibodä. Bis nu nuch diä gelb-grüä Schottä dr ober Teil vum Chessi füllt. (…) sie wird abgschöpft, will mä dadrus wider Etscher macht, das Voorig wird adä Schwiinä verfuäteret, jää mä laat nüüt z Grund guu. Der wiiss Ziger wird miterä hölzernä Chellä usägschöpft. (…) d Schottä laat mä so guät as gaht abtropfä. Dr trochä Ziger leit mä hübschäli i hölzig Gebsä, sobald er chaltä isch, wird er im Zigergadä ännä versorget. Wäner dä nach ä paar Wuchä richtig vergäret isch, wird er i fescht Segg abgfüllt und heisst vu iäz äweg Rohziger.» ** Wer Sigfried Fischli bei seinem Handwerk auf der Alp Obersee-Rauti zusieht, fühlt sich in alte Zeiten versetzt. Es ist ein uriges Gefühl. Und lässt einen in der Geschichte zurückblicken.

Von Nonnen verfeinert

Die ersten professionellen Käser waren Sumerer. Vor 5000 Jahren mischten sie ihren quarkähnlichen Käse mit Beeren, Kräutern und Gewürzen. Die römischen Legionäre schleppten neben Fleisch und Getreide auch Butter und Käse auf ihren Feldzügen mit. Milch ist ein wichtiger Lieferant von Kalzium, Magnesium und Mineralstoffen, zu Käse verarbeitet, ist sie einfach zu transportieren und lange haltbar. Die Herstellung von Käse verbreitete sich in ganz Europa. Wann im Glarnerland zum ersten Mal Ziger hergestellt wurde, ist nicht belegt. Überliefert ist, dass er wohl bereits schon im 14. Jahrhundert Teil der Abgabe ans Frauenkloster Säckingen war. Das Kloster war der grösste Landbesitzer in Glarus, die Nonnen bezogen von den Glarnern Schafe, Rinder, grosse und kleine Käse und Ziger. Dieser schmeckte den Klosterfrauen nicht besonders, deshalb vermischten sie ihn mit getrocknetem Trigonella Melilotus-Caerulea – mit Zigerklee. So beschreiben Oswald Heer und Johann Jakob Blumer im Jahre 1846 die Entstehung des grünen Glarner Schabzigers. Die Geschichte ist so jedoch nicht belegt.

Das älteste Markenprodukt der Schweiz

Was jedoch belegt ist, dass bereits an der Landsgemeinde 1463 Vorschriften zur Herstellung des Zigers erlassen wurden. Die Landsgemeinde verlangte, dass «jederman sin ziger, die er wil verkoffen, uber und gutt machen, wol stampfen nd saltzen und wol inschlan». Zudem sollten die Produzenten ihr «gewondlich Zeichen in die Rinden brennen». Mit diesem
Zeichen weiss man, «wer das gethan hab», falls jemand «nütt gutt ding machte». Damit konnten die Glarner schon vor 560 Jahren nachverfolgen, wer welchen Ziger hergestellt hat. Somit ist der Glarner Schabziger das älteste Markenprodukt der Schweiz – wenn nicht gar weltweit. Der Höhepunkt des Glarner Schabzigers war ums Jahr 1914. Damals produzierten
mehrere Zigerfabriken im Tal insgesamt 1200 Tonnen Glarner Schabziger. Nie zuvor und nie mehr danach wurde so viel Ziger aus dem Glarnerland in einem einzigen Jahr verkauft, auch über die Landesgrenze hinaus. Heute werden von der einzigen Schabzigerfabrik in Glarus noch rund 330 Tonnen pro Jahr hergestellt, ein Drittel davon wird nach Holland und Deutschland exportiert. Und der Slogan heute: «Lieb es – oder lass es». Die Gretchenfrage am Familientisch.