Die Gewürz- Künstlerin von Mühlehorn


Sie lehrt und lebt den Genuss, ist mit dem Degustieren in der Gewürzmühle Näfels aufgewachsen und heute als Gewürz- Sommelière stetig auf der Suche nach neuen Ideen. Wenn jemand weiss, was Genuss ist, dann Tina Hauser.

Text Delia Landolt und Bilder Maya Rhyner

«Bei mir passiert vieles im Laufschritt. Das gefällt mir. Doch Genuss ist, wenn man sich wirklich Zeit nimmt. Genuss kann ein Aroma, ein Geschmack, ein Duft sein, wenn es einen überrascht, umso besser», erzählt die 56-jährige Gewürz-Sommelière mit den langen, blonden Haaren und stets stilsicherer Kleidung. Sie brüht Kaffee, würzt ihn mit Kardamom und verfeinert ihn mit ihrem eigens kreierten Smokey Salzstaub. Tina Hauser wurde als 4. Generation in die Gewürzmühle Landolt Hauser AG hineingeboren und verkaufte die Firma, nach zehn Jahren als Geschäftsleiterin, um wieder selbst in der Gewürz-Küche stehen zu können.

Eine Ausnahme im Glarnerland

In der Wasser-Karaffe schwimmen Lavendelblüten aus dem Kräutergärtchen, im Atelier hat es natürlich eine Küche, zwei grosse Mörser, Bürotisch, Werktisch. Die grossen Fenster fluten den offenen, weissen Raum mit Licht. Was hier zwischen Bahnhof und See in Mühlehorn bei Appliq food passiert, soll immer aufs Grosse anwendbar sein. Appliq steht für fleissig oder gut anwendbar. Beides trifft auf Hauser und ihre Kreationen zu: Für Lebensmittelfirmen verbessert oder kreiert sie Produkte, reduziert Zutatenlisten. «Ich lese viel Fachliteratur, gehe auf Messen und spreche mit Menschen, die Rohstoffe anbieten und produzieren. Das gibt mir die Möglichkeit, Wissen zusammenzufügen, das mich zu Lösungen führt», erklärt Hauser und ergänzt: «Nur was nachhaltig ist, hat Zukunft.»

Zu früh für Instant-Tee

Was Tina Hauser heute mit der Appliq food AG in Mühlehorn macht, tat auch schon ihr Ur-Grossvater Jean Landolt in Näfels. «Wir konnten unsere Gewürze nur verkaufen, wenn wir ganze Kombinationen oder Gerichte anboten. Deshalb kamen unsere Kunden auch immer für Innovationen zu uns», erklärt Hauser, «wenn wir sie begeistern und überzeugen konnten, konnten wir auch Gewürzmischungen verkaufen.» Vielfach war die Gewürzmühle in Näfels aber ihrer Zeit voraus. Für Instant- Tee in Tablettenform gab es kein Bedürfnis – dafür für Tiki-Tabletten, welche auf Vaters Idee hin auf seiner ungenutzten Tee-Presse produziert wurden.

Die Gerüche der Gewürzmühle

Die Gewürzmühle in Näfels wird nun zu kleineren Geschäftsräumen und Wohnungen umfunktioniert – doch die Gerüche haben das Haus noch nicht verlassen. Pfefferminze, Schwarztee, Kamille erinnern am Eingang an die Teebeutel-Maschine. Ging es früher weiter die Holztreppe hoch in die Mühle, war da der stete Geruch von Jute, in diesen Säcken wurden die Gewürze aus der ganzen Welt geliefert. Nägeli, Zimt, Muskatnuss, erinnert sich Tina Hauser: «Wenn alles zusammenkommt, gibt es am Schluss ein Lebkuchengewürz, das an allem haftet.» Nur das Safran-Zimmer hatte seinen eigenen Duft, hier durften nur die edlen, orangeroten Narbenschenkel der Safranblüten verarbeitet werden.

Schon wieder zu viel Backpulver!

Mit der Lebensmittelbranche wollte Tina Hauser jedoch nie etwas zu tun haben – obwohl ihre Sensorik früh geschult wurde: Als Kind konnte sie Chips-Würzungen, Kaugummis, Puddingsorten, viele Saucen und Frischkäsemischungen ihres Vaters degustieren. Sie musste Nuancen feststellen und schmeckt auch heute, was andere überhaupt nicht wahrnehmen: «Schon wieder ein Gugelhopf mit zu viel Backpulver!» Um nebst der Sensorik auch die handwerklichen Fähigkeiten und den Umgang mit Werkzeugen zu erlernen, entschied sich Hauser für eine Steinbildhauer-Lehre: «Ich wollte lernen, wie man etwas herstellt.» Als junge Frau war es nicht einfach, einen Lehrbetrieb zu finden, genauso wenig, wie das Schmieden von Werkzeugen und den Umgang mit den Maschinen zu erlernen. Genau das aber hilft ihr heute, wenn sie in einem fremden Produktionsbetrieb herausfinden will, was mit der vorhandenen Technik alles möglich ist, damit ihre Innovationen auch effektiv umgesetzt werden können.

Mit dem Blick der Bildhauerin

Anschliessend ging sie an die Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern, widmete sich der Kreativität und machte sich in der Kunstakademie Düsseldorf mit anderen Künstlern auf die stetige Suche nach Neuland. «Es ist die Basis meines heutigen Tuns», erklärt Hauser. Gleich nach Abschluss des Studiums übernahm sie die Geschäftsleitung der Gewürzmühle in Näfels, weil ihr Vater krank war. Daneben gab es keinen Platz mehr für Kunst, weshalb sie all ihre Ideen in die Gewürzmühle steckte. Und diese lief weiter, als hätte es nie einen Wechsel gegeben.

Mut zum Ausprobieren

Heute gibt sie als erste zertifizierte Gewürz-Sommelière der Schweiz ihr Wissen weiter: Jeweils an Samstagen führt Hauser in ihrem Atelier öffentliche Gewürz-Workshops durch. Dazu gehört das Erforschen der Sensorik, das Degustieren
und schliesslich das Mischen einer eigenen Gewürzkreation. «Bisher war jede Mischung geniessbar», lacht Hauser. Viel öfters aber packt sie ihre Gewürze in Weckgläser, um Lebensmittelfirmen zu schulen. Oder sie tüftelt an Kreationen für ihre eigene Kollektion, wie die Salzstaube: «Viele Ideen kommen mir, wenn ich in Bewegung bin, im See schwimme oder paddle.» Das Salzpulver könnte man fast mit Puderzucker verwechseln. In den Kaffee gerührt geht die Bitterkeit verloren – über Früchte gestreut intensiviert es deren Geschmack. Mutige können auch ein Schoggi-Mousse damit überziehen. Doch wirklicher Genuss geht für Tina Hauser weiter als Geschmack: «Genuss ist, wenn man etwas zusammen erleben und teilen kann. Am besten ist es, wenn es sich kombinieren lässt mit Gesundheit, mit physischem Wohlbefinden.»

Magenträs

Bekannt aus der Gewürzmühle Näfels ist vor allem das Magenträs. Die Rezeptur des «Trietolt®» – abgeleitet vom italienischen Wort trattare, auf Deutsch behandeln sowie vom Namen Landolt – hat Jean Landolt, Gründer der Gewürzmühle Näfels, 1900 von Italien nach Hause gebracht. Es galt als Heilmittel, das die Verdauung unterstützt, vor allem nach deft igen Mahlzeiten, wie man sie im Winter oft isst. Tina Hauser hat es geschafft , die Sandelholz-Ingwer-Zimt-Muskatnuss-Mischung als Kulinarisches Erbe der Schweiz eintragen zu lassen. Die Herausforderung war das Sandelholz, das als Lebensmittel verboten war, da damit lange Fleisch rot eingefärbt wurde, um ihm einen frischeren und edleren Touch zu geben. Doch Hauser konnte anhand von anderen  historischen Rezepturen beweisen, dass Sandelholz durchaus als Gewürz einsetzbar ist. Um den Zürichsee war die Triätschnitte beliebt, eine in Wein getränkte Brotschnitte, die ein rötlicher Schimmer überzieht, und in Uri wurden mit Sandelholz Zigerkrapfen gesüsst. Das Magenträs, das Aushängeschild der Gewürzmühle Näfels, gibt es auch heute noch.