Auszeichnung «Historisches Hotel des Jahres 2023»

Ortstockhaus Braunwald, 21. Oktober 2022 – Die Auszeichnung «Historisches Hotel des Jahres 2023» von ICOMOS Schweiz würdigt zum ersten Mal einen unkonventionellen Hotelbau. Das auf 1772 m ü. M. gelegene Ortstockhaus des bedeutenden Schweizer Architekten Hans Leuzinger auf der Braunwaldalp ist bis heute als Ausflugsziel und Skihütte über das Glarnerland hinaus bekannt. Nur zu Fuss oder im Winter per Ski erreichbar, ist die Unterkunft eher mit Berghütten des Schweizer Alpen-Club (SAC) zu vergleichen.


Sind die SAC-Hütten meistens höher angesiedelt und auf Bergsteiger*innen ausgerichtet, wurden die Skihütten meist tieferliegend gebaut und bedienten hauptsächlich Wander*innen und Skifahrer*innen. Das Ortstockhaus ist wahrscheinlich die letzte öffentlich zugängliche Skihütte mit Winter- und Sommersaison aus der Zwischenkriegszeit. Andere Beispiele dieser Zeit, wie das durch spätere Umbauten zerstörte Skihaus Arflina (1935) auf den Fideriser Heubergen von Architekt Rudolf Christ oder das für Skilagergruppen konzipierte Skihaus Oberfeld (1938) über Schattdorf von A.H. Steiner und Max Meier, das sich immerhin noch fast im Originalzustand befindet, unterstreichen die Einzigartigkeit des Ortstockhauses in dieser Baugattung.


Im Auftrag des Glarner Textilindustriellen Dr. Peter Tschudi realisierte Architekt Hans Leuzinger aus Glarus 1931 das Ortstockhaus, das heute als Pionierbau der Schweizer Bergmoderne bezeichnet werden kann. Bereits zwei Jahre davor liess er mit seiner expressiv organischen Planurahütte den Satteldach-Heimatstil der SAC-Hütten hinter sich. Das Pultdach kennzeichnet um 1930 auch die Süd- und Nordtiroler Hotelbauten der Moderne von Baumann, Mazagg oder Gio Ponti. Leuzinger blieb der Moderne auch im Tal mit der Kinderkrippe in Enneda, dem Kunsthaus Glarus und seinem Eigenheim in Zollikon bis in die Nachkriegszeit treu.


Der konvex gebogene Baukörper des Sport-Gasthauses ist gegen Süden ausgerichtet und liegt ideal platziert auf einer alpinen Sonnenterrasse. Mit den Jahren verlor das Berggasthaus durch Abnützung und kleine Veränderungen seine ursprüngliche Qualität und der letzte Besitzer wollte es loswerden. Diese Chance nutzten glücklicherweise drei Architektenpaare mit der Übernahme des Ortstockhauses und führten 2016 zusammen mit der Denkmalpflege eine umfassende Restaurierung durch, bei der auch die verbleichten Eternit-Fassadenplatten in Anthrazit durch neue ersetzt wurden. Gleichzeitig wurde die in den 1960er Jahren zugebaute Vorhalle wieder geöffnet. Die Aufstockung der Vorhalle für die Pächterwohnung aus denselben Jahren wurde belassen. Im Innern wurde als grösster Eingriff die Küche auf die Rückseite des Hauses verlegt, so konnte der Speisesaal bis zur Vorhalle vergrössert werden. Generell wurden alle noch verwendbaren Teile aus der Bauzeit beibehalten, wie beispielweise die Schiebetür zum Nebenraum des Speisesaals mit dem Originalmechanismus, ebenso bei den Schiebefenstern. Die neuen Lampen, die nach der Freilegung der Decke mit weiss gestrichenen Pavatexplatten montiert wurden, bilden einen interessanten Kontrast zum hellbraun hölzernen Speisesaal.


Das Treppenhaus und die verschieden grossen Schlafräume im ersten Stock sind alle weitgehend im Originalzustand erhalten, ebenso die clever konstruierten aufklappbaren Tischplatten mit ihrem Mechanismus. Die Brandschutzvorschriften konnten mit einer einzigen, nicht auffallenden Brandschutztüre und Verglasung gelöst werden. Die Nasszellen sind zeitgemäss umgesetzt.


Das Interesse der neuen Besitzer an der Architektur zeigt sich ebenfalls im öffentlichen Restaurantbereich, wo Pläne und historische Fotos an den Wänden präsentiert werden. Die Realisierung einer Monografie zum Ortstockhaus und dessen Geschichte und Erhaltung der Architekturhistoriker Michael Hanak und Christof Kübler unterstreicht das Interesse und Verständnis der neuen Besitzer für das bedeutende Bauwerk. Es kann als Glücksfall bezeichnet werden, dass dieser Pionierbau der Moderne in den Händen von professionellen Afficionados ist.


Autoren: Marcel Just, Maria Rohner, 21. Oktober 2022, jury@icomos.ch

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Bild 2: Ortstockhaus Winter Nah I (c) Hannes Henz Architekturfotograf Zuerich_289411