Brüüt, Brie und salzige Sablés
Achtung, enthält Spuren von Ziger – tendenziell sogar mehr: Auf der Kulinarik-Tour über den Schabziger Höhenweg gibt es den Magerkäse an vier Stationen. So verschieden wie die Ziger-Kreationen sind auch die Geschichten zur viel diskutierten Spezialität. Vier Gastgeber erzählen.
Text Delia Landolt und Bild Maya Rhyner
«Es ist immer ein Risiko – mag man ihn, mag man ihn nicht?», erzählt Karolina Brandenberger vom Berggasthaus Habergschwänd. Diese Überlegung zaubert den Gästen stets ein Lachen ins Gesicht, wenn sie ein Zigergericht bestellen. Die Zigerhöräli werden nach einem Geheimrezept gemacht, dieselbe Sauce gibt es auch zum Zigerschnitzel.
Mit einem anderen Klassiker, dem Zigerbrüüt – serviert auf knusprigem Wurzelbrot, beginnt hier im Habergschwänd die Kulinarik-Tour über den Schabziger Höhenweg. Die Zweiersessel gondeln von Filzbach hinauf, hoch über dem Walensee, der mit jedem Meter mehr von sich zeigt. Plötzlich guckt der Säntis hinter den Churfirsten hervor und wenn man im Habergschwänd ankommt, reicht der Blick über die Linthebene bis zum Zürichsee.
Zuhause in der Riibi
Karolina Brandenberger selbst hat Ziger im Oktober 2018 zum ersten Mal probiert, als sie von Davos nach Filzbach zog und mit ihrem Mann Dave nicht nur das Restaurant übernahm, sondern auch die Sportbahnen Kerenzerberg – sie mochte den Geschmack des seltsamen Klee-Krauts auf Anhieb. Zufälligerweise heisst ihr Zuhause in Filzbach Riibi (Reibe). In ihrem Keller befindet sich noch immer ein rundes Gefäss, das wohl einmal als Mühle für den weissen Ziger diente und zum anschliessenden Mischen mit dem Zigerklee.
Nun geht die Wanderung los Richtung Nüenalp. Der leichte, aber steinig-wurzelige Aufstieg führt direkt zu Mittler und Ober Nüen. Zeit für die nächste Pause. Während der Alpzeit ist das Beizli immer in Betrieb, es gibt Kaffee und Bier, Bio- Alpkäse oder Geiss-Salsiz. Auch wenn Ziger immer an Lager ist, gibt es hier auf der Kulinarik-Tour ein Alpkäse-Degustationsplättli.
Auf dem Hornschlitten ins Tal
«Früher herrschten beim Zigern noch andere Bedingungen», lacht Älpler Christian Beglinger, «heute sind wir ins andere Extrem gerutscht, alles muss fast zu hygienisch sein.» Auf der Bio-Alp hat Christian Beglinger von 1996 – 1998 selbst gezigert und drei 400-Kilo-Fässer mit Rohziger im Herbst ins Tal gebracht. «Einmal mussten wir den Ziger sogar in Jutesäcke umfüllen und ihn auf dem Hornschlitten über den Schnee ins Tal ziehen – eine Strasse gibt es ja nicht.» Obwohl die meisten Alpen in Glarus Nord früher gezigert haben, lebten sie nicht davon, sondern vom Verkauf von Niidel und Anggä – Rahm und Butter. Weil der Preis dafür stark sank, gleichzeitig die Hygienevorschriften fürs Zigern immens stiegen, wechselten Beglinger und seine Nachbarsalpen zum Käsen.
Weiss und fade?
Lange wusste man nicht viel über das Zigern, «die Praktiken wurden einfach überliefert», erzählt Beglinger. Erst mitden Nachforschungen der Geska habe sich der Prozess professionalisiert – sie ist heute die einzige Schabziger-Produzentin, welche den Glarner Schabziger aus Glarner Bergmilch herstellt. Nur auf der Alp Obersee-Rauti Änziunen wird noch gezigert, wo die Familie Fischli das alte Alp-Handwerk in die Moderne geführt hat.
Trotz den weitreichenden Veränderungen sieht Christian Beglinger einen Vorteil im Käsen: «Wir konnten unseren Ziger nicht direkt auf der Alp anbieten, weil er noch weiss und fade war. In der Fabrik machte er eine weitere Gärung durch, wurde sodann gesalzen und anschliessend mit dem Zigerklee gewürzt.» Wer heute auf der Nüenalp landet, kann sich auf dem Degustationsplättli durch den Alpkäse probieren, dazu gibt’s eigenes Molliser Dinkelbrot. Dem würzigen Magerkäse aber, der gerieben gegessen wird, blieb der ehemalige Zigersenn treu: «Schabziger ist täglich auf dem Tisch, morgens, abends und am Sonntag auf dem Zopf.»
«Ich kannte die Zigerbutter und das Schabziger-Stöckli, sie waren immer auf dem Tisch.»
Noch ein kurzes Stück bergauf, dann ist der Aufstieg geschafft – in einigen Spitzkehren geht es nun runter durch den Wald, nah am Fels entlang, wo Seile weiche Knie verhindern, bis auf Mullern die nächste Verköstigung wartet. Die balkonartige Ebene ist geschützt durch die zerfurchte Bergflanke, die sich vom Fronalpstock zum Nüenchamm zieht. Nach vorne ist die Sicht offen über die Linthebene. Hier stehen im Kühlschrank eine Flasche Most und Ziger-Sablés bereit.
Mullerä-Beizli statt Alpenrösli
«Ich kannte die Zigerbutter und das Schabziger-Stöckli von zu Hause, sie waren immer auf dem Tisch, mein Vater hat darauf bestanden – obwohl er als Einziger davon ass», erinnert sich Nicole Winteler. Für die Thurgauerin stand der Ziger für das Glarnerland. Und die Claridenhütte, zu der sie als Familie einmal im Jahr aufstiegen. Dann lernte sie Adrian kennen und war eine Woche später das erste Mal auf Mullern, wo sie heute seit 13 Jahren lebt. Als 2015 das Bergrestaurant Alpenrösli schloss,fragten viele Biker und Wanderer, wo sie etwas trinken könnten. Da die Kindergärtnerin gerade den Fachausweis zur Bäuerin abschloss – Fokus Direktvermarktung und Gastronomie –, lag die Idee des Mullerä-Beizlis nah. Ums Marketing musste sie sich nicht kümmern, denn keine zwei Wochen nachdem Nicole Winteler die Zusage fürs Selbstbedienungs-Beizli von der Gemeinde bekam, stand auch schon das SRF mit «Mini Schwiiz, dini Schwiiz» da. Rechtzeitig zur Ausstrahlung der Sendung eröffneten die Wintelers 2019 ihr Beizli offiziell. Weil es am Schabziger Höhenweg liegt, musste natürlich auch eine Ziger-Kreation her. So entstand mit einer Nachbarin von Nicole Winteler die Idee von salzigen Sablés, zusammen erkoren sie aus vier Variationen die beste aus.
Wer sich noch etwas Platz im Magen freihalten möchte, kann die Kekse auch einfach für später in den Rucksack packen. Denn nun geht es nochmals bergauf, an der Zigerstöggli-Maschine vorbei Richtung Naturfreundehaus Fronalp. Auf dessen Terrasse folgt der Blick ins Tal und bis zum Tödi oder schweift übers Klöntal, aus dem der dunkelblaue See hervorblickt. Als Abschluss der Kulinarik-Tour gibt es «Claudi’s Gärtli»: einen gemischten Salat mit Zigerbrie, Feigen und Baumnüssen an einer Honig-Senf-Sauce. Zigerbrie?
Bei Bedarf intensivieren
Der Zigerbrie im Naturfreundehaus Fronalp ist so beliebt, dass er schon blockweise über die Theke gegangen ist: an Amerikaner. Dabei sagen Claudia Zurfluh und Benno Gottlieb – beide aus der Innerschweiz – über den Ziger lediglich: «Wir haben uns dem angenommen.» Benno in der Küche, wo er den Brie kreiert, indem er ihm eine Schicht Butter und Ziger hinzufügt. Statt klassischen Zigerhöräli mit Apfelmus zaubert er Ziger-Nudeln mit getrockneten Aprikosen und Baumnüssen. Auf Wunsch gibt es Ziger in die Salatsauce, ins Fondue, aufs Raclette. «Ziger ist immer im Haus», sagt Benno, sogar reines Zigerklee-Pulver, um den Geschmack bei Bedarf zu intensivieren. Auch wenn Claudia weniger Ziger-Fan ist, so empfiehlt sie ihn gerne und bringt Zögerlichen vor der Bestellung etwas geriebenen Ziger zum Probieren.
Ab hier stünde noch der Abstieg nach Glarus oder Mollis an – natürlich ist auch das Fronalp-Taxi eine Option. Wer die Tour in die andere Richtung startet, kann sich den Abstieg mit einer Trotti-Fahrt vom Habergschwänd nach Filzbach versüssen. Alles Weitere über den Ziger und seine Geschichte erfährt man auf den zahlreichen Infotafeln auf dem Weg.
Schabziger Höhenweg
6,7 Kilometer, 2 ½ Stunden Laufzeit, 400 Höhenmeter Aufstieg