Schybefleuge

Schybe, Schybe, überrriibe! Die söll em Nachbuur ids Nescht ineflüüge. Der geheime Brauch der Matter Buben.

Die brennenden Scheiben von Matt

Bis heute scheint das Schybefleuge nichts von seiner Faszination eingebüsst zu haben. Immer wieder wurde es beschrieben; in Zeitungen, Büchern, in den verschiedenen Ausgaben des Glarner Heimatbuchs, das im Schulunterricht Verwendung findet, und selbst im Fernsehen. Seit 1941 zieren drei brennende Scheiben das Gemeinde- und jetzige Dorfwappen von Matt.

Aus alten Lumpen und Putzfäden
Dem Schybefleuge haftet unbestritten etwas Geheimnisvolles an, denn bis heute ist es ausschliesslich Matter Knaben vorbehalten und findet quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zuschauer werden in der Nähe des Feuerplatzes keine geduldet und selbst nachdem die letzte Scheibe auf die Reise geschickt worden ist, bleiben die Knaben bis spät in die Nacht unter sich. Es werden Würste gebraten, Mineralwasser oder auch ein «Kaffischnaps» getrunken und die eine oder andere Zigarette geraucht. Dem Schybefleuge voraus gehen wichtige Vorarbeiten: Schon im Herbst fällen die älteren Knaben eine Tanne, zersägen und spalten das Holz und tragen es zum Feuerplatz. Aus einem zwei Meter langen Brett wird der sogenannte «Schybelade» erstellt, die Abschussrampe, die zum Tal hin leicht ansteigt. Dazu werden Sitzgelegenheiten errichtet. Im Januar eingesammelte Christbäume ergänzen den Brennholzstapel. Dazu besorgt sich jeder Bub mehrere lange Haselstöcke und sägt aus einem Eschenstämmchen fingerdicke Rondellen oder Scheiben, in deren Mitte ein Loch gebohrt wird. Frühere Berichte nennen viereckige, leicht abgerundete Scheiben, die aber, wie erklärt wird, auch schwieriger zu handhaben seien. Eine aus alten Lumpen, Putzfäden sowie einem Stecken oder einem Haselstock gefertigte, mannshohe Fackel komplettiert die Ausstattung eines «Schybebueben».

 

Lichtkreise in die Nacht zeichnen
Am Fasnachts-Sonntagabend in den geraden Jahren macht sich jede der zwei Gruppen, angeführt vom jeweiligen «Chef» und dessen Vize, auf den Weg zu ihrem Feuerplatz: Die Älteren (5. Primarschulklasse bis 3. Oberstufe) besammeln sich bei Mutten, einem Felskopf rund 250 m über dem Tal, die Jüngeren (1. bis 4. Primarschulklasse) auf der gegenüberliegenden Talseite beim sogenannten «Chnüü». Inzwischen haben sich unten im Dorf mehrere Bewohner, aber auch Zuschauer aus anderen Ortschaften sowie Feriengäste versammelt und blicken abwechselnd auf die eine oder andere Talseite. Als Erste beginnen die Jüngeren etwas unterhalb des «Chnüü» ihre Fackeln zu schwingen. Etwas später wird der Holzstoss auf dem Feuerplatz angezündet. Auf dieses Zeichen haben die älteren Schybebueben, die sich am gegenüberliegenden Hang, auf halber Höhe zum Mutten, in Position gebracht haben, gewartet. Sie entzünden ihrerseits die Fackeln und zeichnen damit Lichterkreise und -achten in die Nacht. Schliesslich ziehen auch sie zum Treffpunkt, dem Feuerplatz auf Mutten, wo sie vom Chef und dessen Vize, die vorgängig das Feuer entfacht haben, erwartet werden. Jeder Knabe steckt sich eine erste Scheibe an den Haselstecken und hält ihn ins Feuer. Brennt sie, so schwingt ein jeder seinen Stecken und indem er zum Schlag ausholt, ertönt ein erstes Mal der altbekannte Widmungsspruch:

Schybe, Schybe, überrriibe
Die söll em X Y ids Nescht ineflüüge.

In diesen Spruch lassen sich Namen nach Belieben einfügen und je nach Beliebtheit der genannten Person lässt sich der Spruch auch ebenso leicht abändern. Durch den Schlag auf den Scheibenladen löst sich die brennende Scheibe vom Haselstecken und fliegt in die Dunkelheit hinaus. Manche Scheiben ziehen «kometengleich mit glühendem Schweif dahin und senken sich in weitem Bogen. Andere zaubern eine prächtige Leuchtspur, die sekundenlang den Nachthimmel durchschlängelt.» Könnern gelingt es gar, die Scheibe 30 bis 40 Meter in die Luft zu katapultieren. «Abstürze» kommen vor, was nicht weiter tragisch ist, denn jeder Bub verfügt über ein ganzes Arsenal an Scheiben. Gegen Mitternacht schwingt der «Chef» seine eigene, die sogenannte «Zwölfifackel», und zeigt damit das Ende des Schybefleugens für alle Primarschüler an. Während sich die Zuschauer im Tal wieder in ihre Häuser begeben, beginnt für die Oberstufenschüler auf Mutten der zweite Teil des Schybefleugens. In ihren mit Plachen gedeckten Unterständen oder «Hüttlis» und geschützt vor der ärgsten Kälte oder Schneefall machen sich die Knaben hinter ihre mitgebrachten, teils gesponserten Ess- und Trinkwaren. Man vertreibt sich die Zeit mit Plaudern und lässt gelegentlich eine Scheibe fliegen. Doch gegen den Morgen kriechen auch die Ausdauerndsten gerne wieder in ihre Betten.

Die Bilder und Texte aus dem Buch «Lebendiges Glarnerland» über Glarner Bräuche, Feste und Traditionen wurden freundlicherweise vom Baeschlin Verlag zur Verfügung gestellt. Geschrieben wurden sie von Susanne Peter-Kubli und fotografiert von Sasi Subramaniam. Vielen Dank!