Die Glarner Pastete – woher diese stille Verehrung?


Dies fragte Historiker Hans Thürer in seiner Lobeshymne an die Glarner Pastete 1983 in den «Glarner Nachrichten» und erklärte frohlockend: «Schauen wir eine echte Pastete an!» Sie sei Massarbeit, die von Hand aus Blätterteig aufgebaut werde. Ein Biss in die Geschichte des Glarner Traditionsgebäcks.

Text Delia Landolt und Bilder Samuel Trümpy, Archiv Berlinger

«Wo die Glarner Pastete erscheint, sei es erwartet oder überraschend, verbreitet sie lauter, aber nicht laute Freude. Sie erträgt keinen Lärm, sie hasst das Gelage, sie gehört zum Mahl», gab der Netstaler Hans Thürer 1983 in voller Poesie seine Wertschätzung gegenüber der süssen Pastete preis. Der Historiker widmete ihr einen Zeitungsartikel mit dem Titel «Lob und Herkunft der Glarner Pastete». Doch über ihre Herkunft ist man sich nicht einig. Ob Glarner Offiziere das Pasteten-Rezept aus Frankreich mitgebracht haben, wo diese mit Fleischfüllung auf den Tisch kam?

Griffe, Kniffe und «Vörteli»

Klar ist, dass ein erstes Pasteten-Rezept auf die Bäckers-Tochter Anna Aebli-Oertli zurückgeht – als 18-Jährige hatte sie es von einer Tante geerbt, als Mitgift in die Ehe mit Paulus Aebli. Weil er in der Fabrik nicht genug Arbeit bekam, eröffnete das Paar mit dem Rezept als Basis die lang bekannte Pastetenbäckerei Aebli in Glarus.
1988 auf Schreibmaschine festgehalten steht im Häuserverzeichnis von Laurenz Burlet: «Das junge Ehepaar und alle seine Nachkommen sangen das Lob einer alten Base (Tante), die Anna Oertli dieses Geheimnis anvertraute und ihr alle Griffe und Kniffe und Vörteli (Vorteilchen) verriet, die es eben brauchte, um die Königin der Glarner Spezialitäten erstehen zu lassen.» Damals lag die Zuckerbäckerei in den Händen von Frauen, speziell in Ennenda, wo Herrschaftsköchinnen erste Pasteten gebacken haben. Das Rezept verbreitete sich schnell und wurde auch bei anderen Frauen heimisch, die mit den Pasteten ihre eigene Zuckerbäckerei eröffneten.

Rokokos weisses Schnäuzchen

Im Häuserverzeichnis wird vermutet, dass die Glarner Pastete auf Festtafeln von Handelsherren serviert wurde – «jedenfalls erinnert sie in Form und Aufmachung an das schnörkelselige und puderbleiche Rokoko». Schriftlich festgehalten sei dies jedoch nirgends. Doch auch Hans Thürer konnte sich gegenüber der edlen Aufmachung

«Beggeli» ist das glarnerdeutsche Wort für Tasse, worin sie gebacken wurden.

der Pastete nicht zurückhalten: «Ihre Wandung aus Blätterteigringen ist ausgebuchtet, als wäre die Pastete lebendig und wolle in jugendlichem Drang nach allen Seiten wachsen. Über allem liegt ein Zuckerhauch, dass jedermann beim Essen ein weisses Schnäuzchen bekommt.»

Erfindung der Pastetenküken

Die Pastete als Ausdruck des Genusses passte ins 19. Jahrhundert, das viel Wohlstand und Gemütlichkeit ins Land brachte. «Die grosse Geschäftigkeit, noch weit entfernt von Hast, war mit der Baumwolle ins Alpental gekommen», schrieb Thürer. «Die gesellige Handspinnerei vereinigte die Nachbarn zu Spinnstubeten», sogar Sennen sollen das Rad gedreht haben. Es entstanden erste Baumwolldruckereien – und damit Wohlstand. Da sich jene, die «weder Fabrik noch Alp besassen», wie Thürer schrieb, nicht jeden Samstag eine Pastete kaufen konnten, erfanden die Bäckerinnen das Öpfelbeggeli, «gewissermassen Pastetenküken», und bewiesen damit geschäftliches Geschick. Die Beggeli waren mit Rosinen und Apfelmus gefüllt, was deutlich günstiger war als die spätere Mandel- und Zwetschgenfüllung. «Beggeli» ist das glarnerdeutsche Wort für Tasse, worin sie gebacken wurden – wobei das Geschirr die Prozedur wohl nicht lange überlebte.

Backen mit Pfiff

Mit steigendem Wohlstand etablierten sich die Mandeln – obwohl sie ein teures Gut blieben. Beim Schälen der Kerne war die Mitarbeit der ganzen Bäckers-Familie gefragt. Sie setzten sich zusammen an den Tisch und alle bekamen einen gleich grossen Haufen an Mandeln zum Schälen. Dabei wurde gepfiffen und gesungen – nicht aber aus Freude, sondern damit keine der kostbaren Mandeln gegessen wurde. Anschliessend wurden sie im Steinmörser gerieben und die gedörrten Zwetschgen, das Pendant zu den Mandeln, entsteint.

Ein Barbar, wer…

Die stille Verehrung, sie kommt eben nicht von irgendwoher. Sie kommt aus dem Zeitalter, als Wohlstand noch nicht selbstverständlich war. Wo ein Öpfelbeggeli kein Mitbringsel war, sondern ein kleiner Luxus. Und die süsse Pastete? «Sie erhebt
den Tisch zur Tafel», schreibt Hans Thürer, mache den Anlass zum Fest: «Kuchen und Wähen kann man verschlingen; die Glarner Pastete gemahnt an Sitte. Ein Barbar, wer ihr mit Gier begegnet!»