Abenteuerer wider Willen

Als der Schwander Conrad Blumer 1840 beschliesst, nach Java zu reisen, hat er keine Vorstellung davon, welches Abenteuer er erleben wird. Blu- mer will wissen, welche Textilien die Firmen, in deren Auftrag er reist, im Fernen Osten verkaufen können. Er ist Geschäftsmann, kein Abenteurer. Doch die Strapazen seiner Reise werden Spuren hinterlassen.

TEXT Fredy Bühler BILDER Maya Rhyner/ Wirtschaftsarchiv Schwanden

Postkutsche, Raddampfer, Pest, Kamelritt, Schiffsuntergang, Windstille, Fieber, Durst, Quarantäne – der Glarner Conrad Blumer nimmt einiges auf sich, um «dem Markt den Puls zu fühlen», wie er in einem der 80 Briefe an seine Auftraggeber schreibt. Seine abenteuerliche Reise nach Indonesien und zurück nach Schwanden ist beschwerlich und gefährlich. Aber er ist für damalige Verhältnisse sehr schnell unterwegs: Anstatt wie üblich in drei Jahren reist er in eineinviertel Jahren. Conrad Blumer ist 23 Jahre alt und seit fünf Wochen verheiratet, als er am 8. April 1840 seine Reise in Schwanden startet. Seine Ziele sind die Städte Bombay, Madras und Kalkutta, Singapur so- wie Batavia auf Java, damals Niederländisch-Indien.

Mit der Postkutsche bis nach Marseille
Es fährt noch keine Eisenbahn, mit der Blumer Schwanden Richtung weite Welt hätte verlassen können. Er reist mit der Postkutsche in sechs Tagen nach Genf und von dort in weiteren sechs Tagen in einer Diligence, einer schnellen Post- kutsche, nach Marseille. Die erste Post- kutsche über den Gotthard fährt erst zwei Jahre später. Blumer reist im Auftrag der India-Gesellschaft. Teilhaber der Gesellschaft sind Textilfirmen aus Glarus, Aarau, St. Gallen, Stäfa und Basel, mit jeweils anderen Produkten. Diese Auswahl erfolgte bewusst, denn so kommen die Gesellschafter einander nicht in die Quere. Und sie können die hohen Kosten für Blumers Reise aufteilen.

Mit dem Raddampfer übers Mittelmeer
In Marseille besteigt Blumer einen Steamer, einen Raddampfer, zu dieser Zeit eine technische Errungenschaft. Ein Schiff ist zu jener Zeit das schnellste Reisevehikel, wenn auch nicht das zuverlässigste; was Blumer noch schmerzlich erfahren muss.
Der Steamer fährt via Malta nach Alexandria. In Malta erfährt er, dass in Alexandria die Pest herrscht. Am 4. Mai 1840 er- reicht er Alexandria, wo es «Unordnung» gibt, wie er berichtet. «Die hiesigen Käufer (Händler) haben in Menge falliert (sind in Konkurs geraten).» Auch er selbst bekommt die «Unordnung» zu spüren; sein Diener, den er für die Fahrt auf dem Nil angeheuert hat, erscheint nicht. Das schlägt ihm auf den Magen: «Ich habe während Tagen mit meiner eigenen Kochkunst vorlieb nehmen müssen.»

 

Auf dem Kamel durch die Wüste
Der Sueskanal wird erst 29 Jahre später eröffnet. Deshalb muss Blumer fünf Tage lang mit dem Flussboot auf dem Nil südwärts bis nach Kairo reisen. Von dort geht es in weiteren vier Tagen Schaukeln auf einem Kamel – einem Wüstenschiff – durch die Wüste weiter südwärts bis nach Sues. In Sues besteigt er ein Schiff, das ihn in neun Wochen durch das Rote Meer über Aden bis nach Bombay, das heutige Mumbai, bringt – offenbar ohne Zwischenfälle. Als er in Bombay ankommt, ist Regenzeit. Er bleibt einen Monat und berichtet: «Die fieberische Regenzeit hat auch mich nicht unangegriffen gelassen.» Unbeirrt hält er an seinem Ziel fest und segelt mit dem Schiff um den indischen Subkontinent an die Ostküste in die Stadt Madras (heute Chennai). Von hier kann er einige wenige Bestellungen nach Schwanden schicken, bevor er weiter nach Kalkutta reist.

Havarie und Flaute
In Kalkutta angekommen, schreibt er nach Hause: «Ich bin nicht immer wohl gewesen.» Sein Schiff ist gekentert. «Ich kann dem Himmel nicht genug danken, mein Leben gerettet zu haben, was einer Menge Leute auf dem Schiff nicht gelungen ist.» Unbeirrt reist Blumer weiter. Für die Seereise von Kalkutta nach Batavia, heute Jakarta, werden höchstens 30 Tage veranschlagt. Das Schiff kommt aber wegen Windstille nicht vom Fleck, so dass die Reise schliesslich doppelt so lange dauert, «begleitet mit allen Schrecken von Mangel an süssem Wasser». In Batavia hat Blumer sein Endziel erreicht, bleibt einen Monat und startet am 18. Dezember 1840 seine Heimreise.

40 Tage im Monsun
Auch die Heimreise steht unter keinem guten Stern: «Ich habe […] von Batavia eine sehr lange und gefährliche Reise von 40 Tagen gegen den Monsun gehabt, und diese lange Reise bei dieser rauen Jahreszeit, wo man keinen ruhigen und furchtfreien Augenblick hat, begleitet mit schlechter Nahrung, haben meine Gesundheit sehr angegriffen. Hätte ich noch mehr dieser unangenehmen Tours zu machen, so würde ich Schwanden vielleicht nicht mehr sehen.» Tatsächlich hat Blumer zu diesem Zeitpunkt noch fünf Monate Reise vor sich.
In Kalkutta erreicht ihn die Kunde, dass die Verkäufe nicht derart laufen, wie es sich die Gesellschafter vorgestellt haben. Sie geben Blumer die Schuld. Am 13. April schreibt er an die India-Gesellschaft: «Ich betrachte von nun meine Rei- se als beendigt; ich habe nie meine Bequemlichkeit, sondern nur Ihr Interesse berücksichtigt, und um Ihnen Spesen zu ersparen, diese ungeheure Tour in einem guten Jahr gemacht, wofür man sonst 3 Jahre verwenden sollte. Es ist wahr, meine Gesundheit hat dabei gelitten und obschon ich sehr krank war, habe ich den- noch Ihr Interesse besorgt.»

Zehn Tage in Quarantäne
Er verlässt Kalkutta auf dem Landweg. Er hat keine Lust mehr auf Seereisen und bevorzugt die, notabene, unbequeme und strapaziöse Reise quer durch Indien bis Bombay. Über diese Reise berichtet er mit keinem Wort. Von Kalkutta setzt er die Heimreise über Aden, Sues und Alexandria bis Malta fort. Dort wird er gestoppt, denn wer aus Indien kommt, muss zehn Tage in Quarantäne. Mitte August 1841 kehrt Blumer nach Schwanden zurück. Später unternimmt er weitere Reisen nach Spanien, Portugal, England, Belgien, Holland, Norddeutschland und Russland. Immer unter seinem Leitspruch: «Unser Geschäft ist mir alles.» Conrad Blumer stirbt nach längerer Krankheit mit 65 Jahren. Eine ausführliche Schilderung von Blumers Reise nach Java hat Heinrich Stüssi im «Neujahrsboten für das Glarner Hinterland 1989» geschrieben.

Mehr zu Conrad Blumers Reise und dem Glarner Textildruck erfährt man im Glarner Wirtschaftsarchiv. www.glarnerwirtschaftsarchiv.ch